Vera Glebova | Du warst acht Jahre alt gewesen, als die Grisha-Prüfer dich an den Little Palace gebracht hatten. Sie hatten festgestellt, dass du eine Grisha bist und von diesem Moment an hatte dein ganzes Leben sich verändert. Es hatte dir nicht leid getan, deine Familie verlassen zu müssen: ihr hattet in sehr ärmlichen Verhältnissen gelebt und während dein Vater seine Frustration in Alkohol ertränkt hatte, hatte deine Mutter dir nie besonders viel Liebe und Aufmerksamkeit geschenkt, denn sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, deinen Vater zu hassen. Im Little Palace in Os Alta hattest du ein neues zu Hause gefunden. Eine neue Familie. Dort hast du ein Gefühl von Zugehörigkeit gefunden, welches du noch nie zuvor erlebt hattest. Du gehörst zu den besten und strebsamsten Nachwuchs-Soldatinnen, welche die Second Army im Laufe der vergangenen Jahre hervorgebracht hatte. Du bist stolz darauf, eine Inferni zu sein. Du kannst jedoch auch ziemlich wetteifernd sein und willst dich stets mit anderen Beschwörern messen. Dein Ziel ist es, es in der Second Army ganz weit zu bringen. Noch stehst du allerdings ganz am Anfang deiner Reise.

Du bist eine junge Entherzerin, welche es ganz schön faustdick hinter den Ohren hat: in deiner kleinen Gruppe aus Corporalki bist du so etwas wie die Anführerin. Diejenige, welche die meisten Entscheidungen triffst. Aber auch diejenige, welche zu ihren Mitschülern immer wieder ziemlich gemein sein kann. Du spielst dich gerne auf und gibst vor, eine sehr selbstbewusste und mächtige Grisha zu sein, welche den Unterricht bei Baghra eigentlich gar nicht mehr braucht und über ihre Ausbildung längst hinaus gewachsen ist. Wenn du doch einmal einen Fehler machst und andere Schüler dir auf gehässige Art und Weise ihre Schadenfreude entgegen bringen, macht dich das nicht nur wütend, sondern vor allem traurig. Hinter der Fassade aus Gleichgültigkeit und Überheblichkeit steckt in Wahrheit eine unsichere und verletzliche junge Frau, welche sich vor allem danach sehnt, geliebt zu werden und dazuzugehören. Doch oft hast du das Gefühl, dass man dich nur respektieren wird, wenn du anderen das Fürchten lehrst. Und so bist du in dieser Rolle festgefahren: du willst beliebt sein und bewundert werden. Doch beliebt bist du nicht wirklich. Die meisten finden dich arrogant. Respektieren tun sie dich jedoch, denn als Entherzerin gehörst du zu den gefährlichsten Grisha. Doch ist dies wirklich der Respekt, den du wolltest?

Du bist der jüngere Bruder von der Intriganten und genau das Gegenteil deiner Schwester: du bist ein Heiler und während sie dafür sorgt, dass ihre Mitschüler sie entweder hassen oder Angst vor ihr haben, bist du ein liebenswerter Bursche, welcher manchmal sogar etwas zu gutgläubig sein kann. Deine Schwester findet, dass du ein Schwächling bist. Du bist ein wahrer Freund, welcher immer für jene, die ihm wichtig sind, da ist – und manchmal sogar für Fremde. Du kannst keinem Tier was zu leide tun, weshalb du dir nicht vorstellen könntest, jemals einen Kräftemehrer haben zu wollen, weil du dafür immerhin ein Tier töten musstest. Obgleich du nach außen hin selbstsicher tust, so bist du tief in deinem Inneren jedoch sehr unsicher und fragst dich, ob deine Schwester nicht sogar recht hat und du wirklich ein Schwächling bist. Während du im Heilen gut bist, versagst du im körperlichen Teil deiner Ausbildung immer wieder. Du bist kein besonders guter Kämpfer und schneidest im Kampftraining immer am schlechtesten ab. Du hast insgeheim große Angst davor, dass du als Grisha der Second Army versagen wirst. Und dass die Second Army dich letzten Endes vielleicht gar nicht wollen wird, weil du zu schwach bist.

Cientha Montgomery • Du bist eine Alkemi, welche den ganzen Tag nichts anderes machen möchte, als sich mit der chemischen Zusammensetzung verschiedener Gifte zu beschäftigen und aus verschiedenen Chemikalien etwas Neues zu erschaffen. Du bist so schüchtern und zurückhaltend, dass es dir oftmals sogar schwerfällt, vor den anderen Fabrikatoren aufzutauen – eigentlich hast du es gern, wenn man dich einfach in Ruhe lässt. Wenn du dich mit deinen Fähigkeiten beschäftigst, dann hast du oftmals das Gefühl, in einer ganz anderen Welt zu sein. In deiner eigenen Welt. Seit du jedoch an einem Sprengpulver gearbeitet hattest und es zu einer ungeplanten Explosion kam, hat sich einiges in deinem Leben verändert: du hattest nicht besonders viel Ärger bekommen, denn kleine Missgeschicke passieren bei Fabrikatoren häufiger. Doch du hattest nicht gewollt, dass jemand verletzt ist. Ein Mädchen – du glaubst, dass sie zu den Beschwörern gehört, doch ganz sicher bist du dir nicht, weil du sie nie allzu häufig beachtet hattest – war verletzt worden. Das hatte sich jedoch geändert, nachdem sie während der Explosion leicht verletzt worden war. Offenbar war sie in die Werkstatt gekommen, um dir etwas zu essen zu bringen, weil du das Essen verpasst hattest. Seither kommt sie dich immer öfter besuchen. Und zu deiner großen Überraschung hast du es gern, wenn sie da ist. Und du redest sogar gerne mit ihr.

Es war deine Mutter gewesen, welche dich nach Os Alta zum Little Palace gebracht hatte. Sie hatte begriffen, dass du Grisha-Fähigkeiten hast, noch bevor die Grisha-Prüfer dich hatten testen können. Du warst damals noch viel zu jung gewesen, um begreifen zu können, was das bedeutete. Um begreifen zu können, dass deine Mutter dich im Little Palace lassen würde. Dass sie allein zurück in euer Dorf gehen würde. Sie nahm das Geld an, welches die Second Army ihr für deine Überlieferung anbot. Erst einige Jahre später wurde dir klar, dass deine Mutter dich nach Os Alta gebracht hatte, weil sie das Geld gebraucht hatte. Nicht, weil sie dir hatte helfen wollen. Wirklich übel nehmen kannst du es ihr nicht, denn damals ward ihr in großer Geldnot gewesen. Dein Vater war erst einige Monate zuvor an einer schweren Grippe gestorben und ihr wärt beinahe verhungert. Und doch hat ein Teil von dir sich stets von deiner Mutter hintergangen gefühlt. Sie hatte dich einfach weggegeben, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen. Kontakt zu ihr hast du keinen mehr. Du bist im Little Palace groß geworden, wo du nicht nur gelernt hast, eine Grisha und stolz darauf zu sein, sondern wo du auch neue Freunde, eine neue Famile gefunden hast. Dein Einstieg in die Second Army ist nur noch wenige Monate fern und du kannst es kaum erwarten, endlich ein richtiger Soldat zu werden. Das nötige Selbstvertrauen und einen Hauch von Überheblichkeit, welche man braucht, um in der Second Army zu zeigen, was man drauf hat, hast du bereits.

Du hast deine Heimat und deine Familie hinter dich lassen müssen, um zur Second Army zu gehen. Leicht war dir das nicht gefallen, denn Ravka war nie dein zu Hause gewesen, sondern Shu Han. Während deiner Kindheit hattest du immer wieder die Geschichten über die Ravkaner gehört, welche deine Familie dir erzählt hatte. Die Geschichten über den Feind, welcher direkt hinter dem Sikurzoi Gebirge lauerte. Dass ausgerechnet du eine Grisha sein solltest war eine Ironie des Schicksals, welche eine sehr große Bürde für deine Familie gewesen war. Obgleich Grisha in Shu Han prinzipiell frei leben können, so kannten deine Eltern auch die anderen Geschichten. Jene Gerüchte, welche sogar in Shu Han hinter vorgehaltener Hand gewispert werden. Gerüchte über geheime Experimente, welche an Grisha gemacht werden. Deine Eltern hatten nichts riskieren wollen. Sie hatten ihre Tochter lieber an den Feind gegeben, wo sie es als Grisha womöglich besser haben würde als in ihrer Heimat. Während einer heimlichen Nacht- und Nebelaktion brachten sie dich in die Berge, wo eine Gruppe von Grisha dich mitnahm. Du warst zehn, als du Shu Han verlassen hattest. Und seither hast du dein zu Hause nicht mehr wiedersehen können. Obgleich du bereits seit fünf Jahren im Little Palace lebst und zumindest in deinem Orden einige Freunde gefunden hast, fühlst du dich hier noch immer nicht gänzlich heimisch. Was wahrscheinlich auch vor allem daran liegt, dass viele deiner Mitschüler dich noch immer misstrauisch beäugen oder sogar beleidigen, weil du eine Shu bist.